Rundbrief Nr.5 Dar es Salaam, den 10.04.2013
Rastas, Sandofen oder wie stark prägt mich meine Kultur?
Ihr Lieben zuhause!
Ich hoffe, ihr habt alle wunderschöne Ostern verbracht und mir in Gedanken viele Milka-Hasen geschickt (Glori, ich hoff du hast einen für unser Schokofondu übrig gelassen☺). Meine Ostertage waren erholsam, wenn auch von viel Kirchgeherei geprägt, Gründonnerstag 3 1/2h, dann Karfreitag 3h mit Schauspiel, in welchem doch tatsächlich einer ans Kreuz gebunden und mit Kunstblut überschüttet wurde was ziemlich viele Leute und Kinder zum Weinen gebracht hat)und schließlich Karsamstag 9Uhr abends bis zwei Uhr nachts (auch die 5 und 6 – jährigen Kinder wurden mittgeschleppt, obwohl sich diese total geweigert haben), was aber erstaunlicherweise wirklich schön war. Am Ende der Osternachtsmesse haben die Menschen richtig gefeiert und gejubelt, Jugendliche sind durch die Kirche gerannt und alle Menschen haben getanzt, ein
wunderschönes Ereignis.
„Atangaye sana na jua, hujua“ Wer viel mit der Sonne geht, weiß viel. 
Dieser Weisheit nach müsste ich mittlerweile so viel wissen wie ein Professor, denn die letzten Monate lassen sich am einfachsten durch diese Worte beschreiben: Heiß, heißer, Dar es Salaam! Während ihr höchstens vom Schneeschippen ins Schwitzen geraten seid, lief uns die Brühe wie Wasserfälle über den ganzen Körper, nach der Mittagspause wollten wir am liebsten unser schattiges Plätzchen gar nicht mehr verlassen. Ab Anfang April ist nun das andere Extrem eingekehrt: Regenzeit! Und damit einher vermehren sich auch die ungeliebtesten meiner vielbeinigen und vielflügligen Mitbewohner – Moskitos – im Sekundentakt. Aber toi, toi, toi – weder meine Partnerin Doro noch ich hatten bisher Malaria – Moskitonetz und Autan Tropical sei Dank. Auch wenn ich zugegeben ein bisschen den vielen Sonnentagen hinterhertrauere, ist dieses Wetter für alle eine gelungene Abwechslung. Bis jetzt sind der Regen und ich auch gute Freunde, denn ich genieße es total, im Regen zu laufen, die erfrischenden Wassertröpfchen auf der Haut zu spüren, und dass, ohne dabei zu frieren. 
Verglichen mit meiner Anfangszeit habe ich wirklich das Gefühl, dass ich viel in der Sonne gegangen bin. Auch wenn ich mich immer noch ab und an fremd fühle und viel nicht verstehe (sei es Kultur, Sprache oder Sichtweisen), merke ich, dass das Leben hier auch wirklich als mein Leben sehe: Mit meiner Arbeit, meinen Kindern und meinen eigenen Höhen und Tiefen. Dann kommt mir Deutschland manchmal so unglaublich weit weg vor. Das Leben dort so unglaublich anders. In meinem ersten Blogeintrag war zu lesen: „Ich habe das Gefühl, dass ich in Deutschland in den Flieger gestiegen und auf einem anderen Planeten ausgestiegen bin“. Mittlerweile ist dieser so fremde Planet meine Heimat geworden, und es ist eher Deutschland, das in einer Art Paralleluniversum liegt. Und das, obwohl ich das Gefühl habe, als wäre kaum Zeit vergangen. Bin ich wirklich schon acht Monate hier? Immer wieder diese Zeitfragen, die in meinen Kopf schwirren wie ein Schwarm lästiger Fliegen: Habe ich die letzten Monate genug genutzt? Schaffe ich es, all meine Pläne und Projekte in der verbleibenden Zeit? Wie kann man die eigene Zeit so nutzten, dass es für alle am angenehmsten ist? Aiaiai, und da könnte ich jetzt noch tausend mehr auflisten. Eine Antwort kann ich euch auf jeden Fall schon mal geben: Arbeit kann die Zeit schleichend langsam und unglaublich schnell vergehen lassen. Und macht man Arbeit, die einen erfüllt und sich und anderen Spaß macht, dann sieht man gleich seinen Freiwilligendienst ganz anders und damit die Rolle, die man vor Ort einnimmt. Deswegen bin ich richtig froh, dass die letzten Monate (fast) immer genügend und vor allem voller vielseitige Arbeit für mich da war. Unser Deutschkurs ist leider heute schon wieder zu Ende gegangen. Fast drei Monate haben wir nun dreimal wöchentlich für eineinhalb Stunden Deutsch unterrichtet, und ich hatte richtig viel Spaß dabei, auch wenn es viel viel schwieriger ist, die eigene Sprache zu unterrichten (vor allem so eine komplizierte wie Deutsch) als Englisch zu unterrichten. Unser Dauerbrenner „Wieso ist „das Mädchen“ neutrum und nicht feminin und wie kann ein Tisch maskulin sein?“ hat auch mich ab und an ins Grübeln gebracht. Es war auf jeden Fall für beide Seiten sehr spannend, denn Studenten kann man auf einem ganz anderen Niveau unterrichten und auch Themen wie Rassismus und das Verhältnis Schwarz- Weiß diskutieren. Beendet haben wir den Kurs mit einem Nachmittag über deutsche Kultur, Gesellschaft und einer sehr spannenden Diskussion über Vorurteile sowie der Übergabe von Zertifikaten durch die Unileitung.
Im Center habe ich die letzten Wochen neben unserm Englisch-Unterricht auch viel Zeit verbracht, gebastelt und getanzt. Neben geknüpften Freundschaftsbändern haben wir Armbänder und Ohrringe hergestellt, die laut den Kindern aussehen wie Massai-Schmuck =) Und ich habe in dieser Zeit auch was gelernt: Kiduku! Dies ist eine typisch tansanische Form des Tanzens und sieht zwar leicht aus, ist aber extrem schwer nachzumachen. Man geht in die Knie, wackelt auf den Zehenspitzen hin- und her und schwingt den Popo, der natürlich schön weit rausgestreckt wird. Nach fast acht Monaten kann ich ihn jetzt – naja, zumindest ein klein bisschen. Und mit Kiduku und Rastas (acht Stunden stillsitzen) bin ich jetzt schon ein bisschen mehr Tansanierin=) Daneben konnte ich ein neues Arbeitsfeld dazugewinnen. Da zu DMI (der Orden der
indischen Schwestern) auch Frauengruppen gehören, die unter anderem Mikrokredite erhalten und an verschiedenen Programmen teilnehmen, wollte ich gern auch in dieses Gebiet reinschnuppern. So ganz klappen diese Gruppen nicht (es ist halt nicht immer Gold was glänzt), was sicher Gründe auf beiden Seiten hat. Umso mehr hat es mich nun gefreut, dass die Frauen begeistert auf mein Angebot des Seminares „Keki (Kiswahili für Kuchen; von englisch cake 😉 na karangas“ reagiert haben. Eigentlich ist es ganz einfach: Ich zeige ihnen zusammen mit einer Mitarbeiterin, wie man einen ganz einfachen Kuchen und gebrannte Erdnüsse (Mandeln gibt’s nicht) herstellt. Als die Idee in meinem Kopf war, stand ich zunächst vor einem Problem: Backofen, Rührgerät und Grammangaben gib’s nicht. Letzteres war schnell gelöst: Das Rezept habe ich einfach so umgeändert, dass nur noch viertel oder halbe Kilos vorkommen, statt Rührgerät einfach laaaaange mit dem Arm rühren aber Ofen? Nach ein paar verbrannten Kuchen und Keksen kamen wir dann auf die Lösung: ein großer Topf mit etwas Sand füllen, kleiner Topf rein, auf die Kohlen stellen, Deckel drauf und auf diesen auch Kohlen geben – fertig ist der tansanische Ofen! So kam neben Kuchen auch schon eine Lasagne zu stande=) Den Mamas (man spricht ja alle älteren hier mit Mama an) hat’s geschmeckt, und ich hoffe, die eine oder andere hat sich das Rezept gemerkt (manche haben es aufgeschrieben, andere können leider nicht schreiben) und in ihr „Business“ aufgenommen. Viele leben nur von kleinen Arbeiten, wie Getränke oder Snacks zu verkaufen, und durch die gebrannten Nüsse können sie ihr Sortiment erweitern und Kucken beispielsweise für kleiner Feste wie Kommunion verkaufen. Auf jeden Fall genieße ich diese Tage bei den Mamas immer sehr – denn dann heißt es von der Stadt in die Villages rausfahren, wo es viel ruhiger und beschaulicher zugeht als hier. Oft schauen wir danach auch noch bei einer Mama vorbei, grüßen ihre Familie oder schauen ihr Haus an, wodurch ich viel Einblick in das Leben der Menschen bekomme.
Anfang März war meine Freundin Theresa, die momentan ihren Freiwilligendienst in Kenia absolviert, für 16 Tage zu Besuch und wir hatte eine unglaublich schöne, lustige und besinnliche Zeit. Da wir beide das Gleiche, aber doch auf ganz unterschiedliche Arten, erleben, hatten wir natürlich jede Menge zu bequatschen und es tat wirklich gut, dass einer da war, der versteht, von was man redet. Resi hat ein bisschen in mein Projekt mitreingeschnuppert und dann ging es noch für ein paar Tage nach Sansibar: Schnorcheln über einem Korallenriff, Riesenschildkröten anschauen, Kayaktour durch einen Mangrovenwald, Hennatatoo und Ganzkörpermassage inklusive – den leckeren Apfelkuchen frisch aus tansanischem Ofen und Dr.Oetker-Pudding nicht zu vergessen =) Als sie dann wieder weg ist, habe ich zum ersten Mal wirklich bewusst gemerkt: Ich war ja jetzt ein halbes Jahr alleine, nur von Menschen umgeben, die ich gar nicht kannte. Daher war es wunderschön, jemand aus dem alten Leben da zu haben, der sich perfekt in mein neues Leben eingefügt hat. Aber auch wunderschön, dass diese einst so fremden Menschen hier mir so sehr ans Herz gewachsen sind. Auch ein anderer Gedanken kam in letzter Zeit öfters in meinem Kopf auf: Je ferner man von der Heimat ist, umso mehr wird einem aber auch die eigene Herkunft bewusst. Oft merke ich, wie ich Dinge, und seien es noch so einfache, nicht verstehen kann, vielleicht etwas nachvollziehen, aber doch wirklich nie begreifen werde. Da war zum Beispiel das letzte Mitarbeitertreffen, wo allen Mitarbeitern gesagt wurde, dass sie für den nächsten Lohn einen Bankaccount brauchen. Es wurde ihnen aber zu spät gesagt, sodass sie erst im nächsten Monat ihr Gehalt bekommen haben. Ich hätte mich auch geärgert, aber letztendlich, ein paar Tage hin oder her macht mir auch nicht viel aus. Aber sie waren echt wütend, haben gefragt, wie sie sich denn jetzt ernähren sollen, wer ihnen denn jetzt Essen kauft? In dem Moment fiel ein: Man sagt oft „naumwa, naskia njaa“ wenn man Hunger hat. Wörtlich aber heißt es „Ich habe Schmerzen, ich habe Hunger“.
Auch ich habe manchmal Hunger, aber Schmerzen? Nein, richtigen „Hunger“ zu haben, ist mir fremd. Armut ist mir fremd. Ich weiß, dass es auch in Deutschland/Europa Menschen gibt, denen oft nicht das Geld für Nahrung reicht. Aber wenn ich es mir überlege – dann kenne ich nicht wirklich jemand. Ich komme aus einer gesellschaftlichen Schicht, wo man für Häuser, Autos, Studium spart – nicht für Essen. Und das ist auch gut so. Ich bin nicht so romantisch verträumt zu sagen, wie schön und glücklich die Menschen hier mit wenig Geld leben. Ja, sie können viel mehr wertschätzen als wir, sind mit weitaus weniger viel zufriedener (nicht nur so dahergeredet, ich erlebe das oft und das tut mir gut zu sehen) und leben oft in grausamen Umständen (und das sind noch bei weitem nicht die wirklich Armen), aber ihr Leben ist auch unglaublich hart, ein unglaublicher Kampf, jeden Tag aufs Neue. In Deutschland vergessen wir glaube ich ganz schön oft wenn es um Bankenkrisen, doktorarbeitklauende Politiker und erhöhte Benzinpreise geht, wie wir im Vergleich zum Rest der Welt leben. Wir kommen aus der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt, eines der am höchsten entwickelnden Länder. Wir leben in unglaublichen Reichtum, nicht nur was materielle Dinge angeht, sondern auch was Politik, Gesellschaft, Bildung betrifft. Unsere Schulen sind kostenlos, unsere Wahlen frei und fair, unsere Gesellschaft fängt uns auf wenn wir unseren Job verlieren. Es gibt Wasserhähne, Stromleitungen, Krankenversicherungen: Aus unseren Augen trotzdem oft mangelhaft, aus anderen Augen gesehen die perfekten Grundbedingungen für ein gutes Leben. Wir haben unglaublich Glück was die äußeren Umstände betrifft, welche uns das Leben bietet. Doch da wir immer davon umgeben sind, können wir allzu oft deren wirklichen Wert nicht mehr erkennen. Erst hier, mit etwas Abstand, wird mir das so richtig bewusst, ich merke jetzt, wie stark ich von meiner eigenen Herkunft, meinem Land und meiner Kultur geprägt bin. Und das ist schön, denn es gibt mir Geborgenheit, ein Gefühl der Zugehörigkeit. Aber ich merke auch, wie sehr mich diese Prägung beeinflusst, wie sehr sie mich im Griff hält, an meine Grenzen bringt und dass uns unsere Wurzeln Halt geben, uns aber gleichzeitig auf einem einzelnen Stück Boden gefangen halten und somit verhindern, dass wir jemals einen wirklich neutralen Blick auf uns selbst, und auf die ganze Welt werfen können. Umso dankbarer bin ich für jeden Tag, an welchem ich mehr über mich, die Menschen und das Lebe lernen kann!
Ich hoffe, ich habe euch nicht allzu sehr verwirrt, manchmal ist es unglaublich schwer, seine Gedanken in klaren Sätzen zu schreiben. Und falls doch: Haltet das nächstes Mal wenn ihr den Kühlschrank öffnet, eure Hände wäscht oder euch über Schule/Studium Gedanken macht einfach einen kurzen Moment inne und seid dankbar dafür, dass ihr das unglaubliche Privileg habt, das zu tun! Dann wisst ihr, was ich sagen wollte ☺
Zum Schluss noch eine kleine Bitte an euch alle: Ich besorge den Kindern hier grad neue Schulrucksäcke. Um Gezanke zu vermeiden, sehen alle sehr ähnlich aus, aber ich fände es dennoch schön, wenn jeder etwas individueller wäre. Deswegen: Falls ihr noch schöne Schlüsselanhänger zuhause habt, dann gebt sie bitte Mama und Elina mit, die Anfang Mai zu Besuch kommen. Und auch sonst, falls ihr irgendwas Nützliches habt, Schuhe (vor allem schwarze, in allen Größen) oder derartiges, immer gern. Nun wünsche ich euch, dass ihr die vielen schönen Kleinigkeiten im Alltag erkennt, die das Leben so wertvoll machen und schicke euch diesmal zwar keine sonnigen, aber herzlich warme Grüße aus Tansania! P.S.
Hier mein neuster Blogeintrag „Brief an Gott“:
http://www.misereor.de/blog/2013/04/11/brief-an-gott/
P.S. Nicht wundern, falls ich nicht immer so schnell zurückschreibe. Leider ist mein Laptop im Tiefschlaf und tut seit ein paar Wochen keinen Mucks mehr, aber ich freue mich immer von euch zuhören. Manchmal bin ich schon ziemlich out of information, die einzigen Nachrichten die ich lese sind ab und zu mal die auf der gmx-Startseite ☺ Aber keine Angst, mittlerweile weiß ich auch, dass ein neuer Papst gewählt wurde und man besser von Pferdefleisch-Lasagne die Finger lässt.
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