Dar es Salaam, den 17.02.13
Halbzeit, ole ole, oh weh oh weh!
Halbzeit. Oder sogar schon ein bisschen mehr als die Hälfte meines Freiwilligendienstes ist vorbei. Ein halbes Jahr Tansania, 6 Monate Afrika. Ole ole, ich bin schon ein klein bisschen stolz auf mich,
was ich bisher so gemeistert habe. Aber dann denke ich auch: Oh weh, oh weh, schon so viel Zeit um? Ich kann gar nicht glauben, wie schnell die Tage, die Wochen, verflogen sind. Manchmal habe ich das Gefühl, mit der Zeit ist es wie mit Sand: Sie rieselt mir langsam, aber stetig durch die Hand, und wenn ich versuche, die Faust ganz fest um sie zu schließen, so rinnt doch immer was raus. Vieles ist mittlerweile zum Alltag geworden: Der Sprachenkauderwelsch beim ständigen Wechseln zwischen Deutsch, Swahili und Englisch, der Reis, Moskitos, die Eimer-Dusche, das Gefühl, mit den Kindern wie mit einer Familie zusammen zu leben, ja selbst die Kakerlaken. Und einiges ist mir immer noch so fremd: Die tansanischen bzw. indischen Erziehungsmethoden, das ständige Angesprochen werden und der Umgang mit der Religion. Aber dennoch: Tag für Tag verstehe ich mehr, immer nur ein kleines bisschen, aber doch Schritt für Schritt: die Menschen, die Kultur, die Sprache. Und vor allem auch mich selbst: Meine eigene Herkunft, meine deutsche Kultur, die mich viel stärker prägt, als ich es jemals geglaubt hätte.

Im Bereich Arbeit waren meine letzten Monate sehr vielseitig, manchmal sehr ausgelastet, aber auch ziemlich oft gab es nichts zu tun. Mit meiner Mitfreiwilligen habe ich jeden Abend unsere „Home“-Kinder unterrichtet sowie zweimal wöchentlich die Center Mädels. Daneben gab es noch ganz viel unterschiedliches Programm: Für die Kinder aus den sogenannten Children Parliaments wurde der „Childrens‘ Day“ organisiert. Ich fand es etwas schade, dass von den 2000 Kindern, die angeblich dort Mitglied sein sollten, nur 200 eingeladen wurden. Gefeiert wurde in einem großen Raum, Reden gehalten, Tänze und Theaterstücke aufgeführt.
Anfang Dezember fand der „AIDS/HIV and Human Rights Day“ statt, bei dessen Vorbereitung ich durch die Gestaltung von Karten und Schilder mit verschieden Slogans zu diesen Themen helfen konnte. Zusätzlich gab es noch ein AIDS-Test-Zelt, wo sich alle Besucher kostenlos untersuchen lassen konnten. Aus Neugierde habe ich es mir angeschaut, aber hatte nicht vor, mich von einer Nadel picksen zu lassen. Ein Mitarbeiter und Freund, der mich dahin begleitet hat, wollte natürlich, dass ich mich auch testen lasse. Und als dann irgendwann alle Augenpaare auf mich gerichtet waren um zu sehen, ob die Weiße sich traut oder nicht, musste ich wohl in den sauren Apfel beißen! 🙂
Ein weiteres großes Ereignis war die Graduation, die Abschlussfeier der Center Mädchen (einen ausführlichen Bericht darüber findet ihr in meinem Eintrag im MISEREOR-Blog). Es war einer der schönsten Tage, die ich bisher hier erleben durfte.
Ansonsten war der Dezember ziemlich still, da über Weihnachten und Silvester Sommerferien waren und alle Kinder zu ihren Familien gegangen sind. Sie haben sich mächtig gefreut, nach einem Jahr endlich wieder nach Hause zu gehen, und auch wenn die meisten nicht bei ihren Eltern wohnen können, gibt es fast immer jemand aus der Familie, der sie aufnimmt, wie Oma oder Tante. In Tansania sind die Familienstrukturen viel breiter gefächerter und auch wichtiger als ich es von Deutschland kenne. Ein Kind wird nicht nur von Mama und Papa großgezogen, sondern von allen, die älter sind als es selbst. Es muss auch nicht zwangsläufig bei den Eltern aufwachsen, sondern wenn beispielsweise die Tante mehr Geld hat oder in einer größeren Stadt wohnt, lebt das Kind bei ihr.
Auf einmal ist dann also unsere 23-Kinder-Wohneinheit auf 4 Kinder, die nicht nach Hause konnten bzw. wollten, und uns zwei Freiwillige geschrumpft. Auch wenn ich alle schrecklich vermisst habe, muss ich gestehen, dass es auch endlich mal etwas Erholung war, denn eigentlich sind die Home-Kinder ja nicht unsere „Arbeitsstelle“, aber dadurch dass seit
November kein Kindermädchen mehr da war, waren wir auf unserem Campus alleine mit den Kiddis. Vor allem abends, wenn wir schon müde aus dem Büro kamen, war das immer sehr hektisch und anstrengend: Gartenarbeit, dann Hausaufgaben erledigen, beten, Essen ausgeben, alle zum Schlafen bringen, schauen dass Schulkleider rausgelegt, Moskitonetze geöffnet und Lichter gelöscht sind. Das ist alles richtig schön, denn dadurch sind wir richtig eng mit den Kindern zusammen gewachsen und sie sind mir schon unglaublich ans Herz In etwa: „Wir sind gegen Kinderarbeit“!
gewachsen. Doch manchmal hatten bzw. haben wir auch das Gefühl, von den Schwestern auf unserem Campus alleine gelassen zu werden. Seit Januar ist jetzt aber eine tansanische Novizin da, die sich um die Kinder kümmert, und mit der es bisher recht gut läuft.
Da wir glücklicherweise an Weihnachten endlich unser lang ersehntes Langzeit-Visum bekommen haben (und somit nicht mehr illegal in Tansania waren=) konnten wir über Silvester auf Sansibar gehen, und es war wirklich ein Traum: Weißer Sand, türkises, badewannenwarmes Wasser und Palmen. Wir hatten vorher zwar etwas Bedenken, wie es denn wird wenn wir von unserer „Heimatstadt“ Dar es Salaam, in die sich kaum Touristen verschlagen und wenn dann nur zur Durchreise, auf die touristische Seite Tansanias zu stoßen. Und im ersten Moment war das auch gleich mal ein Schock: Schon alleine die Fähre war, verglichen zu den Verkehrsmitteln Daladala (Bus), Pikipiki (Motorrad) und Bajaji (Dreirad), die wir sonst immer benutzen und immer halb am Auseinanderfallen sind, luxuriös. Zudem so viele Weiße auf einem Haufen wie wir es in den letzten Monaten noch nie gesehen haben. Kaum lag die Fähre dann auf Sansibar im Hafen, stürmten abertausende von Einheimischen her und wollten einen zum Hotel bringen oder sich als Stadtführer und Gepäckträger anbieten. Aber waren wir erstmals dem ganzen Touristentrubel entkommen, konnten wir auch schon die Insel genießen. In unserm Hostel im Westen der Insel waren wir die einzigen Gäste, und da sich der Hauptteil des Tourismus vor allem im Norden und im Osten abspielt, waren wir an unseren Strand die einzigen Weißen. Das hieß dann aber auch: Mit Kleidern ins Wasser gehen. =) Denn in Sansibar sind
kolonialismusbedingt fast alle Menschen muslimisch. An den von Touristen besuchten Stränden spielt das keine Rolle, aber da unser Strand öffentlich war und abends von den ganzen Einheimischen besucht wurde, haben wir uns auch an den „Kleidercodex“ gehalten, obwohl unser Hostelmanager meinte, für Touristinnen wären Bikinis auch OK=).
Da Sansibars Geschichte hauptsächlich vom Kolonialismus und vor allem von der Sklaverei geprägt ist, findet sich das auch überall auf der Insel wieder. Auch am letzten Tag wollten wir eine Sklavenhöhle besuchen. Da die meisten Touristen mit eigenen Bussen anreisen und uns das aber viel zu teuer war und wir uns ja immer im öffentlichen Verkehr bewegen (viel zu umständlich und gefährlich für Touristen, jaja ist klar, zahlt ihr mal 10€ für eine Strecke, für die wir nur 0,50€ bezahlen=) wollten wir das auch auf Sansibar so machen. Unser Hostelmanager hat aus Angst,
dass wir verloren gehen, extra dem Busfahrer Bescheid gegeben, wo wir rausmüssen. So kamen wir dann auch an dem gewünschten Ort an, haben aber leider erst danach gescheckt, dass der ganze Bus und alle Insassen deswegen extra für die Weißen einen Umweg gemacht hat. Das war zwar ganz nett, aber so standen wir dann in der Landschaft, haben uns auch die Sklavenhöhle angeschaut (und waren mal wieder die einzigen vor Ort), nur zurück mussten wir dann laufen, weil es ja keine Busstation gab. Trotzdem war es aber gerade deswegen auch herrlich: Wir sind durch einen riesigen Wald gewandert und konnten in Ruhe alles genießen, und die Toursitenbusse haben ganz schön geschaut, was wir da machen. Doch ich fand es genial: So haben wir viel mehr gesehen, als wir es ja von einem Auto aus hätten machen können. Und wir wissen jetzt auch, wie Ananas wachsen=)
Danach waren wir wieder für ein paar Tage zu Hause, um dann gleich weiter nach Bagamoyo (ca. 2h von hier entfernt) zum Zwischenseminar zu fahren. Dort haben wir uns mit 27 Freiwilligen aus verschiedenen Ländern wie Kenia, Ruanda und Sambia getroffen, um die letzten und die nächsten Monate zu besprechen. Die Themen waren sehr vielseitig: Meine Rolle in der Einsatzstelle, Gewalt im Projekt, Rassismus, (Un)Verständis von Daheimgebliebenen, Ich als mzungu (Weißer), Meine Zukunft, Selbstverlust vs. Selbstfindung. Es hat wirklich gut getan, sich mit anderen, die das Gleiche oder Ähnliches erleben, auszutauschen und auch einfach mal sagen zu dürfen, wie schei* es einem manchmal geht. =) 
Nach all den Reisen wieder nach Hause zu kommen, war ein ganz wunderbares Gefühl. Endlich wieder den Alltag mit den Kiddis haben, loslegen zu können mit den ganzen Projekten, die ich mir so vorgenommen habe. Unsere Arbeit hat sich jetzt auch ein bisschen geändert. Das erste halbe Jahr haben wir ja oft das gemacht, was gerade anstand. Nun haben wir endlich einen festen Plan: Zweimal die Woche Englisch Unterricht im Center, dreimal zu Children Parliaments, dreimal Deutsch-Kurs im College und neben her natürlich unsere Home-Kinder. Children Parliaments sind Jugendgruppen, die sich regelmäßig treffen, um über politische Themen zu debattieren und um so auch Lösungen für ihre eigenen Probleme zu finden, wie beispielsweiße kein fließend Wasser in der Schule. So auf jeden Fall die Theorie. Aber aufgrund unserer Sprachprobleme gestalten wir die Stunden etwas anderes, wie mit Sport oder Englisch. Das ist nicht immer ganz so einfach, denn die Gruppen treffen sich meistens in der Schule, wo die Verhältnisse wirklich schlimm sind. Kein Wasser, kein Strom, 4 Klassenräume für 700 Schüler, der Hauptteil der Schüler sitzt auf dem Boden, bzw. nur die, die fleißig lernen, dürfen auf den Bänken sitzen. Bis jetzt sind wir immer raus auf den Sportplatz (bzw. was man hier unter Sportplatz versteht=) gegangen, und ich will mir nicht vorstellen, wie es in der Regenzeit wird, wenn wir dann mit bis zu vierzig Leuten auf dem Boden in einem kleinen Zimmer hocken (falls wir eins bekommen). Ich bin immer wieder geschockt über die Verhältnisse in der Schule. Und mich wundert es auch nicht, dass die Lehrer nur Frontaluntericht machen: Sie haben keine Bücher, können nichts ausdrucken oder kopieren, kein Overhead, kein CD-Player, kein Computerraum. Und die Kinder quetschen sich auf die drei Bänke, die da sind, der Großteil sitzt auf dem Boden, schreibt ab, sie spitzen ihre Stifte mit den Zähnen oder mit einer Rasierklinge, und das dann auch noch bei 35°C, ohne Ventilator oder Klimaanlage versteht sich. Natürlich ist die fimbo oder der sticki, mit denen die Lehrer die Kinder auf die Finger, Rücken oder Popo „tätscheln“, immer mit dabei. Trotz allem wundert es mich aber auch, wie gerne die Kinder lernen, und wie wichtig sie ihre Schulbildung nehmen.
Im College sind unsere „Schüler“ etwas älter. Ich habe mir schon Ende letzten Jahres überlegt (auch durch mehrere Anfragen) Deutsch als zweite Fremdsprache zu unterrichten. Ich dachte dabei an eine Secondary Sshool (ab 7.Klasse), da die Schüler dort schon relativ gut Englisch können und es für mich so leichter wäre. Unsere zuständige Schwester aber hat mal wieder spontan den Plan geändert und den Deutsch- Kurs an die „St.Jospeh Universiy of Dar es Salaam“, eine private Uni, die von den Schwestern geführt wird, verlegt. Tja, ups, da stand ich nun, meine Schüler sind alle im vierten Semester, viel älter als ich, können super Englisch, wissen, wie es an einer Uni läuft und freuen sich auf ihren Deutsch-Kurs. Gefreut hab ich mich auch, aber in der ersten Stunde hatte ich dann doch etwas Bammel. Ging zum Glück ganz gut, und ich bin gespannt, wie es so weiterläuft. Mir macht es auf jeden Fall riesig Spaß. Es ist eine richtige Herausforderung für mich, denn es ist schon etwas anderes ob ich den Mädels Englisch Unterricht (wo ich ja von der Schule her weiß, was man da so machen kann) gebe, oder Studenten Deutsch erkläre. Die Uni ist ganz anders als die öffentlichen Schulen, mit allem ausgestattet, was man so braucht. Ihr seht, mir geht es grad richtig gut, ich bin beschäftigt und mag gar nicht an das Ende denken. OK, ich geb’s zu, manchmal wünsche ich mir schon, einfach mal schnell nach Hause zu düsen: Um ordentlich zu duschen, Wäsche mit der Waschmaschine zu waschen, keine Schwester mehr zu sehen, eine Nutellebrezel zu essen und um Mamas Kind zu sein und nicht diejenige, die sich um die Kinder kümmert =)…aber wenn ich dann wieder denke: Gott im Himmel, nur noch 5 Monate, oh weh oh weh, dann kommt mir das so wahnsinnig kurz vor., und dann will ich jeden Moment noch auskosten. Das ich jetzt schon anfangen muss, mir über Studium und Co. Gedanken zu machen, würde ich gern so weit wie möglich rausschieben. Ich glaube, wenn man einmal Freiheit geschnuppert hat, dann will man sie auch nicht mehr so schnell hergeben. Am liebsten würde ich gleich weiterdüsen, noch mehr sehen von der Welt, noch mehr erleben von den Menschen und dem Leben…und ich hoffe, in den nächsten Jahren (bzw. Jahrzehnten) stehen noch ganz viele Abenteuer für mich bereit!
So, wenn ihr es geschafft hab, bis hierher zu lesen, dann müsst ihr mich wirklich lieb haben=)
Liebste, sonnige und umarmende Grüße,
eure Maleen
P.S. Mein Päckchen ist nach langem, langem Warten im Januar endlich angekommen. Und um keine Vorurteile gegen „langsame“ Afrikaner aufzubauen: Das Packet hat es doch tatsächlich geschafft, innerhalb von 13 Tagen von Deutschland da zu sein, nur haben die Schwestern es irgendwie nicht gecheckt, dass der Abholzettel dafür in ihrem Postfach lag. Ich bin dann eines Tages mit einer Schwester zur Post, und habe es dann endlich nach einigem Hin-und Her-Gefrage bekommen. Was war das für ein Gefühl: Nach 4 Monaten endlich mal wieder Milka-Schokolade, wie im Himmel=)
Hier noch der Link zu meinem MISEREOR-Blog Eintrag über die Center Graduation: http://www.misereor.de/blog/2013/01/15/walzer-tanzend-in-diezukunft/
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