Dar es Salaam, den 08.09.2012: Rundbrief 1

Ziemlich genau zwei Wochen ist es nun her, als mein großes Abenteuer begann. Das Abenteuer Tansania, das Abenteuer, in eine völlig fremde Kultur einzutauchen, das Abenteuer, zehn Monate mit indischen Schwestern zusammen zu leben. Und die Liste könnte wahrscheinlich unendlich lang fortgeführt werden. Sicherlich wird auch erst die Zeit zeigen, dass manches zum Abenteuer, zur Herausforderung wird, an was ich vorher gar nicht gedacht habe. Denn das musste ich schon am ersten Tag feststellen: Nach dem langen und anstrengenden Flug sehnte ich mich nach einer Dusche, doch leider kamen aus dem Duschkopf nur ein paar Tröpfchen kaltes Wasser. Tja, dann hieß es halt: Mit einem kleinen Becher Wasser aus dem Wasserhahn lassen, in einen Eimer geben und dann damit duschen. Nicht zu vergessen, dabei immer das Positive im Blick behalten: Zwar ist das Wasser richtig kalt, aber dafür lindert das die zahlreichen Moskitostiche=) Und gerade als ich nach zwei Wochen einigermaßen in der Lage bin, beim Duschen nicht mehr das ganze Bad zu überfluten, heißt es auch schon wieder, erneut aufzubrechen, denn seit gestern ist mein Sprachkurs vorbei und ich werde heute in mein
Projekt bei den Sisters einziehen. Seit ich hier in Tansania bin, wurde ich schon von ganz vielen von euch gefragt: „Und Maleen, bist du gut angekommen?“ Wahrscheinlich konnte ich darauf nicht immer gleich eine Antwort geben, denn was heißt das, ankommen? Ankommen, im physischen Sinne, ja, das hat alles gut geklappt. Aber gehört nicht viel mehr dazu, viel mehr als nur vom Flughafen abgeholt zu werden, im Hostel auszupacken und sich den Weg zur Sprachschule einzuprägen? Vielleicht stehen meine Füße schon auf afrikanischer Erde, aber mein Kopf, meine Gedanken und Gefühle schwirren noch irgendwo zwischen Europa und der arabischen Halbinsel herum. Auch wenn ich mich hier wirklich sehr wohlfühle, sich die gemischten und teilweise auch ängstlichen Gefühle schon größtenteils gelegt haben und ich jedem neuen Tag entgegenfiebere, muss ich antworten: Nein, so richtig angekommen, das bin ich noch nicht. Aber dafür gebe ich mir auch noch genug Zeit, ganz getreu dem Lebensmotto der Tansanier: „Haraka haraka haina baraka“, was so viel bedeutet wie: „Eile, Eile bringt kein Glück“.

Ein kleines Stück Einleben habe ich aber dennoch in den letzten zwei Wochen schon gespürt. Der Sprachkurs, den ich zusammen mit meiner Projektpartnerin Doro und vier anderen Freiwilligen besucht habe, hat uns wertvolle Einblicke in die tansanische Gesellschaft, in das politische System und vor allem auch in den tansanischen Humor ermöglicht. Begleitet wurden diese Stunden mit ganz viel Lachen, denn beide Seiten, wir Deutschen und Benjamin, unser Sprachlehrer, stellten immer wieder fest, dass die anderen doch ein bisschen „chizi“ (verrückt) sind. Benjamin wollte uns einfach nicht glauben, dass wir unseren Hunden und Katzen Namen geben, extra Tierärzte haben und Läden, in welchen wir für sie einkaufen. Er denkt wahrscheinlich immer noch, dass es ein Witz von uns war, ebenso wie wir dachten, er nehme uns auf den Arm, als er erklärte, dass Männer als Zeichen der Freundschaft und Verbundenheit „Händchen“ halten. Ganz verwirrt war ich dann auch, als Benjamin über „human, animals and insects“ sprach. Ich wollte darauf hin wissen, warum er denn Insekten noch einmal extra nennt, worauf er mich anschaute und meinte: „Na Maleen, es gibt doch Menschen, Tiere und Insekten“. Als ich erstaunt erwiderte, dass das doch wohl ein bisschen „chizi“ sei und Insekten auch zu den Tiere gehören würden, lachte er nur.

Ganz rechts im Bild Maleen.

Doch das ist typisch für Kiswahili, was in Tansania, Kenia, im Kongo, Ruanda, Burundi, Somalia und teilweise noch in anderen Ländern Ostafrikas gesprochen wird. Es folgt nicht den Prinzipien der Sprachen, die ich bisher gelernt habe. Zur Verzweiflung kann einen dabei bringen, wie viel man in eine Verbform hineinstecken kann, ganz so als würde man ein Fischertechnikmodellbaukasten für Fortgeschrittene zusammensetzen. So bedeutet „tutakapowalisheni“ „sobald wir euch zu essen geben“, benötigt also im Deutschen sechs einzelne Worte. Die tansanische Bezeichnung hingegen baut einfach mal einen Bandwurmsatz aus dem so winzigen Verb „la“ (essen). Wie ich das jemals selbst in der Geschwindigkeit eines Alltaggespräches zusammen setzten soll, ist mir ein Rätsel. Auch das Klassensystem, in welches sich alle Substantive einordnen lassen, spiegelt bei einem genaueren Blick Teile der tansanischen bzw. afrikanischen Kultur und Mentalität wider. Anstelle der Artikel „der, die, das“ ordnet man die Hauptwörter in verschiedene Klassen ein. So gibt es beispielsweise eine Klasse, welche Menschen, Tiere (und Insekten 🙂 ) sowie Berufe umfasst. Auch gehören Bezeichnungen für  Familienmitglieder dazu. Typisch dabei ist, dass Tansanier oft so ein gutes Verhältnis zu ihren Nachbarn haben, dass auch diese zur Familie gezählt werden.

Ein deutliches Beispiel für das Denken und Empfinden der Tansanier ergiebt sich auch, wenn man versucht „besitzen, haben, gehören“ zu übersetzen. „Nina kitabu“ bedeutet vielmehr „ich bin mit einem Buch zusammen“, und nicht „ich besitze ein Buch“. Unsere Ausdrucksweise von Ergreifen und Besitzansprüchen findet im Kiswahili keine entsprechende Übersetzung, denn „ich besitze“ nicht, sondern „wir sind zusammen“. Sogar im Alltagsleben wird das deutlich, denn
kein Tansanier „besitzt“ eigenes Land oder ein eigenes Privatgrundstück, jedes Fleckchen Erde ist von der Regierung geliehen bzw. geleast. Eine ganz besondere Bedeutung im Kiswahili kommt auch den Begrüßungen bei. Ein einfaches „Hallo“ wie im Deutschen gibt es nicht. Zur Begrüßung gibt es ausschließlich Fragen, wie „Habari?“ (Wie sind die Neuigkeiten, was gibt es Neues bei dir?) oder „Salama?“ (Bist du in Frieden, ist alles friedlich bei dir?). Älteren und Respektpersonen küsse ich sogar wörtlich übersetzt die Füße. Gegrüßt wird solange, bis ich weiß, wie es der Familie, den Kindern, dem Haus oder der Arbeit meines Gesprächspartners geht. Ob man sich davor kannte, ist dabei
unwichtig, denn zur Begrüßung werden so viele Fragen gestellt, dass man schnell Freunde wird. Und das stimmt wirklich, denn jeder Tansanier freut sich wahnsinnig, wenn man ihn auf seiner eigenen Sprache anspricht und man wird gleich gefragt, woher man kommt, was man hier macht, und natürlich von männlichen Personen, ob man verheiratet ist. Wenn dies nicht der Fall sein sollte, dann wird man natürlich sofort gefragt, ob man sich denn nicht mit ihnen verloben will. Ich glaube, alleine auf unserem Marktbesuch letzte Woche habe ich so viele Heiratsanträge bekommen, dass ich die nächsten Jahre täglich meinen Ehemann wechseln könnte=) Ja, Sprache öffnet eben Türen und Herzen!

Ich wünsche euch sonnige Grüße aus Tansania,

eure Maleen

P.S. Dies ist der >>Link zu meinem ersten Beitrag im MISEREOR-Blog<<.

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