„Und was fehlt Ihnen Herr Golz?“ Meine Hausärztin sah beunruhigt aus, nachdem ich die Lehrerkonferenz verlassen und zu ihr gefahren war. Vor zwei Tagen hieß es von meiner Frau noch: „Oh je, MagenDarm.“ Jetzt also lieber doch ein Blutbild – der Bescheid kommt morgen per Telefon. Ich also wieder nach Hause, Bauchschmerzen seitlich seit gestern. Schlapp auf dem Sofa im Netz surfen nach dem, was bei mir grad schief laufen könnte: es dauert nicht lange – Blinddarmentzündung akut. Ich bekam Angst. Nachdem meine Frau mit dem Auto zurückkam bat ich sie, mich gleich ins Krankenhaus Pfullendorf zu fahren.
Erstgespräch mit einem Arzt, Zahlen, die mir nichts sagten, dann geht alles sehr schnell. Zwei Pfleger rasieren meinen Oberkörper, enge und sehr lange Strümpfe, OP-Kittel, Fahrstuhl, Begrüßung durch Anästhesisten: „Herzlich willkommen, unterschreiben Sie Ihre Einwilligung zur Vollnarkose, dass muss jetzt sein, sonst sterben Sie.“ Klar, man, ich SAG doch gar nichts dagegen. Zeit vom ersten Hallo bis Beginn der Not OP geschätzte 40 Minuten. Dazwischen ein kurzer Anruf daheim, soviel Zeit muss sein. Warum sollte ich hierüber etwas schreiben? Ich will, dass mehr Menschen wissen, was in einem Krankenhaus so passiert, außerdem ist es auch witzig, solange man selbst nicht betroffen ist.
Tag 1:
Verbandswechsel durch Assistenzarzt, von zwei Krankenschwestern assistiert. Er meint nur: „Messer bitte.“ Die Schwester: „Warum?“ Ich bin hellwach, schätze ich habe zu viele schlechte Filme mit ähnlichen Szenen gesehen. Der Drainagebeutel soll abgeschnitten werden, von mir aus gerne, befreit mich von diesem Ekelpaket, das aus meiner Hüfte an einem Schlauch baumelt. Weg damit. „Weg kommt der aber erst in drei Tagen.“ Ich war so froh, dass es Krankenschwestern gibt…
Samstagnachmittag: Bestandsaufnahme Krankenzimmer
Mein Zweibettzimmer hat ein Klo mit Waschbecken und Radio (mit vier Sendern). Hier gibt es keinen Fernseher auf jedem Zimmer (zum Mieten 4 € pro Tag), keine Dusche, keine Uhr, kein WLAN. Zunächst macht sich in mir Panik breit, dann erinnere ich mich an Simones Artikel – Radikalentzug. Herrlich, draußen schneit es, im Radio läuft nur Fußball (ich hasse Fußball) und ich kann nichts tun, außer dazuliegen oder mit meiner Infusionsmaschine Gassi zu gehen.
Tag 2:
Blutentnahme durch unbekannte Assistenzärztin. Für die Zuleitung hat sie keinen Adapter, die Schwestern helfen gerne aus. Blut kommt keins. Also holt sie einen Arzt, der arbeitet hier anscheinend Tag und Nacht, er holt das Blut einfach aus dem anderen Arm (glücklicherweise habe ich zwei) und meinte zu ihr, sie solle schon mal den Adapter wieder herausholen. Die Assistenzärztin fängt sofort an und baut die ganze Zuleitung ab. Er stoppt sie, sucht nach einem Pflaster, findet aber keins und meint, dies sei Privatpatientenbehandlung. Zugegeben, ich habe herzlich gelacht. Nun geht es ans Bauchabtasten. Die Assistenzärztin will wiedergutmachen, will helfen, Vertrauen zurückgewinnen und hält die Bettdecke fern vom Bauch. Sekunden später, Handyklingeln beim Arzt, er telefoniert, ihre Hand sinkt Richtung Körper und ruht schließlich auf der OP Wunde. Ich pruste vor Schock, sage, sie müsse weg da. Später heißt es, man müsse die Zuleitung noch kontrollieren, am besten sei, sie lege gleich eine neue Zuleitung. Meine Pupillen weiten sich bei dem Gedanken. Veto!
Tag 3:
Morgen: Auftritt Assistenzarzt: Ich wach … draußen dunkel…Arzt rein…Werte schlecht…Blutentnahme (richtig, da stimmte was mit der Zuleitung nicht) am zweiten Arm (ich sehe mittlerweile aus wie ein Berufsjunkie)…ja, Drainagebeutel kommt heute raus…juhuu…tut das eigentlich weh?…Tür zu.
Vormittag: Visite Chefarzt (von nun an mein Held): „[…] So kommen Sie leichter ins Bett […] Ich helfe Ihnen [ …] Die Drainage bleibt vorerst […] Ich selbst werde sie dann herausholen [juhuu juhuu] […] ganz normal für Körper […] braucht Zeit.“
Mittag: Auftritt Krankenschwester: „Ziehen Sie endlich mal den OP Kittel aus und gescheite Sachen an.“ Toll, da ich es tags zuvor noch nicht zur Etagendusche schaffte, gelte ich nun als Müffler. Freunde werden wir nie. Abtritt Krankenschwester. Also, sie hat Recht, sofort zum Waschen. Auf dem Gang sehe ich die Duschtür und vor dem Schwesternzimmer einen finster dreinblickenden Mann, der besorgt fragt: „Und wie krieg ich jetzt von der Apodeke des Methadon?“ Hilfe zurück ins Zimmer!!!
Nachmittag: Mein Radio ist kaputt. Das Radio des anderen Bettes darf ich nicht nehmen, falls da noch ein Patient hinkommt. Der Techniker kommt und repariert. Vor Freude strahlend meint er: „Sehen Sie, alle Sender laufen wieder.“ Glücklich zieht er von dannen. Richtig, vier unterschiedliche Sender, jetzt allerdings alle ohne veränderbare Lautstärke!
Abend: Der Chefarzt kommt und zieht den Drainagebeutel aus meinem Körper, ein geschätztes 10cm langes, dünnes Schläuchchen. Ich kann gar nicht beschreiben, wie sich so etwas anfühlt, aber ab jetzt weiß ich, dass Rambo entweder ein Halbgott oder eine einzige Medienverarsche sein muss. Ein Held meiner Jugend stirbt heute Nacht.
Tag 4:
Die Antibiose wirkt, die Entzündungswerte sinken und entsprechend gut ist meine Stimmung. Auftritt Chefanästhesist (der überhaupt nicht auf meiner Station arbeitet!). Er meint nur, ich solle zum Röntgen mitkommen. Die Aufnahme meines Bauchs bekomme ich nie zu sehen, stattdessen beschließt er, mir nun eine Magensonde zu verpassen. PANIK !!! Ein langes Gespräch folgt, in dem ich mich aus lauter Verzweiflung recht gut schlage und diese Sonde nochmal vereiteln kann (Botschaft an den Leser: übt Argumentieren und Erörtern!!!). Sollte das medizinisch wichtig sein, von mir aus, aber nicht so überfallartig von jemandem, der mich überhaupt nicht betreut und ohne Beisein meines Chefarztes. Und das, lieber Leser, ist meines Erachtens das Highlight meines Aufenthalts und Grund für das oberste Gebot, wenn man ins Krankenhaus muss: achte darauf, was um dich herum geschieht und frage solange nach, bis du es verstanden hast. Sei kritisch, denn so etwas wie Götter in Weiß oder in weißen Kitteln gibt es nicht, das sind Menschen wie du und ich.
Blutentnahme durch einen anderen Assistenzarzt am Nachmittag: Stich – kein Blut, Mist! Also Pflaster, dann neuer Stich, hmmm, Frust, der sich in einer Art Vorwurf entlädt: „Sie haben zu dünne Venen, Herr Golz“! OK, sorry, aber das ist dein verdammtes Problem, ich kann nichts dafür. Meine Arme sehen mittlerweile wie die eines Drogenabhängigen im Endstadium aus.
Tag 5:
Als Kind lernte ich einmal, nicht gleich zu jammern, sondern erst mal z.B. einen Schmerz zu ertragen. Ein Indianer kennt keinen Schmerz (eines der dämlichsten Sprichwörter, die ich je gehört habe). Heute tat die Infusion weh, mehr als sonst. Ich ertrug es. Als der Vorgang beendet war, sagte ich der Krankenschwester, dass es weh tat und erhielt sogleich einen Anschiss: ich hätte VIEL früher etwas sagen müssen, denn die ganzen Antibiotika, die ich per Infusion erhielt, waren nicht in meinem Blut gelandet, sondern machten sich im rechten Oberarm breit, da die Infusionsnadel die Vene gesprengt hat. Ich sah aus wie Popeye auf Spinat oder Jason Bourne, nur dass mir mein Arm wirklich wehtat. Hier also die zweite, wirklich wichtige Lehre, die ich aus diesem ganzen Aufenthalt gelernt habe: Man muss Schmerzen (er)kennen aber oft ist es genau das Falsche, sie still zu ertragen. Mir ist das jetzt zweimal passiert, mal sehen, ob ich jetzt etwas dazugelernt habe.
Ich freute mich, als ich nach Hause gehen durfte, ich freue mich, dass es jeden Tag ein bisschen besser wird und ich werde mich auch freuen, wenn das alles endlich vorbei ist.
Und, natürlich, die hier beschriebenen Ereignisse sind wahr, sind aber Ausnahmen im Krankenhausalltag, der durch freundliche Krankenschwestern und bemühte Ärzte bestimmt wird.
