Quest-Designer Philipp Weber

Ich hatte im Zuge einer Bildungsveranstaltung in Mannheim die Gelegenheit, nicht nur an einer Podiumsdiskussion über Gamification und Classcraft teilzunehmen, sondern auch mit Philipp Weber aus Polen zu sprechen, seines Zeichens Quest-Designer bei „The Witcher 3“.  Er hielt einen Vortrag über Gamification und wie Elemente aus dem Spieldesign in der Bildung verwendet werden können. Nach seinem Vortrag hatte ich kurz die Gelegenheit, mit ihm darüber zu reden, wie er als Schüler war, was ihm die Schule gebracht hatte und wie er zu CD PROJEKT RED, also der Warschauer Spielefirma gekommen war, die die Spielreihe „The Witcher“ veröffentlichten.

Philipp sagte zu Beginn des Gespräches, das er ein eher fauler Schüler gewesen sei. Er interessierte sich nur für die Fächer, die mit Sprache und Geschichte zu tun hatten. Darum studierte er auch Literatur und Geschichte. Während des Studiums spielte er die beiden Witcher-Vorgänger und erstelle mithilfe eines Mod-Tools selber einige Quests, die er hochlud und die anschließend auf Reddit großen Anklang fanden. CD PROJEKT RED wurde dadurch auf ihn aufmerksam und boten ihn direkt den Job als Quest-Designer an.  Auf die Frage hin, woher er all die Ideen für die Quests nimmt, antwortete er, dass er sie zum größten Teil aus seinem Studium der polnischen Literatur hat.  Die Polen haben einen riesigen Märchen- und Sagenfundus, der aber bei der Bevölkerung sehr in Vergessenheit geraten ist. Genau an diesen Geschichten bedient sich aber der „Witcher“ sehr stark, übernimmt Ideen und Vorlagen aus diesem Stoff und belebt sie wieder. Philipp erklärte auch, dass die „Witcher“-Spielereihe deswegen in Polen auch eine völlig andere Wucht als in den anderen Ländern hat: die Leute entdeckten durch den Witcher diese alten Legenden und Sagen wieder, die Verkaufszahlen der entsprechenden Bücher schossen nach oben und die Menschen haben einen vergessenen Teil ihrer Kultur wiederentdeckt. Daher spielen die Polen die Spielereihe auch mit völlig anderen Augen als beispielsweise wir Deutschen oder die Amerikaner. „The Witcher“ gehört zwischenzeitlich zum polnischen Kulturgut und hat auch die Einstellung der Polen gegenüber Computerspielen völlig verändert.

Aber „The Witcher“ ist ein Spiel für Erwachsene, das hat Philipp immer wieder betont, und zwar nicht wegen der Gewaltdarstellung, sondern wegen der philosophischen Tragweite vieler Quests oder auch der Verarbeitung von persönlichen traumatischen Erlebnissen mancher Quest-Autoren. [Achtung, Spoiler]. So lernt man beispielsweise an einer Stelle des Spiels einen Mann kennen, der auf den ersten Blick sehr sympathisch und hilfsbedürftig erscheint und uns bittet, seine verlorene Familie für ihn zu suchen. Findet man nach einiger Suche die Frau und das Kind, stellt sich aber heraus, dass die beiden von ihm misshandelt worden sind, da der Mann schwer alkoholkrank ist. Und was nun? Die beiden decken und fliehen lassen oder den Auftrag erfüllen und dem Mann sagen, wo er sie finden kann? Soll man so jemanden tatsächlich helfen? Oder machen wir uns da mitschuldig? Philipp betonte auch immer wieder, wie schwer die Autoren es hatten, bei einem so brisanten Thema wie häuslicher Gewalt ein angemessenes Script zu schreiben, das der Thematik gerecht wird. Auf alles, worauf der Spieler als „Witcher“ Einfluss nimmt, hat später im Spiel Konsequenzen. Genau diese Konsequenzen fühlen sich lauf Philipp realistischer an, wenn sie nicht sofort spürbar sind, sondern erst ein paar Stunden später im Spiel. Als Beispiel nannte er die Quest eines Dorfschmiedes, dessen Kind im Wald vermisst wird. Finden wir dieses Kind, geht es später nicht nur dem Schmied, sondern dem ganzen Dorf besser, weil alle glücklich sind. Finden wir das Kind nicht, ist natürlich nicht nur der Vater des Kindes am Boden zerstört, sondern es greift auch die Angst im Dorf um sich und das Dorf wird nach und nach von den Bewohnern verlassen. Was passiert also, wenn wir dem Trunkenbold die weggelaufene Familie ausliefern? Man will gar nicht daran denken.

Apropos (nach-)denklich: Am Ende des Gespräches, als Philipp noch etwas über das Schreiben und Ausdenken von Quests, Geschichten, Hintergrundstorys von NPCs und Handlungsbögen erzählte, musste ich daran denken, wie wenig Platz wir den Schülern im Unterricht für derartige Kreativität lassen. Philipp erklärte, dass sie sich für jede Figur im Spiel eine komplette Hintergrundgeschichte ausarbeiten und niederschreiben, damit sie wissen, was diese Person motiviert, wieso sie was wie sagt, wie sie sich verhält, warum sie sich so verhält und welche Motivationen sich aus ihrem Hintergrund ableiten, damit diese viel lebendiger und glaubhafter erscheinen.
Warum machen wir eigentlich sowas nicht im Unterricht? Das ist schade, denn vielleicht hätte ich ja die nächste Corneila Funke bei mir oder den nächsten Markus Heitz, oder einfach der nächste große Quest-Designer, die im Schulalter bereits die Liebe zum Schreiben entdecken und nicht erst viele Jahre später? Warum nimmt der Platz, den wir dem kreativen Schreiben in der Unterstufe noch zugestehen, in den späteren Klassen weiter und weiter ab? Wir rücken immer Interpretationen und Analysen oder Essays in den Vordergrund, fördern das analytische Denken, aber was ist mit der kreativen, erschaffenden Seite? Warum wird die so vernachlässigt?  Ist das von keinem wirtschaftlichen Nutzen?  Oder ist das einfach nicht wichtig, weil es „eh nix bringt“? Das tun aber Analyseaufsätze aber meist auch nicht.

Seine abschließenden Worte an mich waren aber sehr aufmunternd: „Wenn ich damals auch Classcraft im Unterricht gehabt hätte, wäre ich ein viel besserer Schüler gewesen. Damit hättest du mich gekriegt.“ 🙂

Ein Gedanke zu „Gespräch mit Philipp Weber, Quest-Designer von „The Witcher““
  1. Hat dies auf DiamondDove's Blog rebloggt und kommentierte:
    Mein Fundstück der Woche: Gedankenaustausch von D. JURGELEIT, Lehrer Staufergymnasium Pfullendorf, mit Quest-Designer Philipp Weber von CD Projekt RED zum Thema Gamification und Verwendung von Elementen aus dem Spieldesign in der Bildung.
    Ich konnte Philipp 2016 selbst kennenlernen, auf dem Hands-on der The Witcher 3-Erweiterung „Blood and Wine“ in Berlin. Toller Typ, toller Artikel hier.

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